Quelle: HansOLG Pressestelle
Urteilsverkündung im sog. Stadtpark-Verfahren
Im sog. Stadtpark-Verfahren hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 17, am 28. November 2023 nach 68tägiger Hauptverhandlung das Urteil verkündet und neun Angeklagte wegen Vergewaltigung zu Jugendstrafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ein Angeklagter wurde – wie schon am 5. April 2023 der vormals elfte Angeklagte – freigesprochen. Vier der verhängten Jugendstrafen wurden – flankiert von umfassenden Auflagen und Weisungen zur erzieherischen Unterstützung – zur Bewährung ausgesetzt. Bei vier Angeklagten wird über die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafen erst nach Ablauf von sechs Monaten entschieden (sog. Vorbewährung), um – ebenfalls flankiert durch Auflagen und Weisungen – die weitere Entwicklung dieser Angeklagten abzuwarten.
(617 KLs 27/21 jug.)
Die zuständige Jugendstrafkammer hat zum Kerngeschehen als bewiesenen Sachverhalt festgestellt:
Am 19. September 2020 in der Zeit von 22:45 Uhr bis etwa 24.00 Uhr wurde die Nebenklägerin an unterschiedlichen Orten des Stadtparks Opfer von sexuellen Übergriffen, die in vier Tatgeschehen begangen wurden: Vier der Angeklagten – darunter der zu einer unbedingten Jugendstrafe Verurteilte – waren gegen 22:45 Uhr auf die Geschädigte aufmerksam geworden, die erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hatte und sich enthemmt zeigte, was die vier Angeklagten für sexuelle Handlungen ausnutzen wollten. Ohne dass ein Einsatz körperlicher Gewalt oder Drohungen feststellbar waren, kam dann in einem Gebüsch, in das die Geschädigte sich mit den vier Angeklagten begeben hatte, zu sexuellen Handlungen der vier Angeklagten. Das ließ die Geschädigte nicht ausschließbar ohne Abwehrhandlungen, aber nach ihrem übrigen Verhalten erkennbar gegen ihren Willen über sich ergehen. Einer der Angeklagten stahl der Geschädigten im Verlauf dieses Geschehens ihr Mobiltelefon und das Portemonnaie.
Als Folge dieses Tatgeschehens entwickelte die Geschädigte eine schwere akute Belastungsreaktion, die sie zusätzlich zu ihrer Alkoholisierung erheblich, zum Teil mit der Folge paradoxer Handlungen und streckenweise apathischen Verhaltens, beeinträchtige. Nach Rückkehr auf die Festwiese gegen 23:10 Uhr begegnete die Geschädigte in diesem Zustand mehreren Personen, darunter zwei weiteren Angeklagten, von denen sie einen ansprach. Die Angeklagten wollten die erhebliche Einschränkung der Willens- und Äußerungsfähigkeit der Geschädigten ausnutzen und führten sie ihrerseits zu einer sichtgeschützten Stelle, wo sie gleichzeitig sexuelle Handlungen an ihr vornahmen. Wegen der psychischen Ausnahmesituation der Geschädigten konnte die Kammer nicht ausschließen, dass der eigentlich entgegenstehende Willen der Geschädigten nicht mehr zu erkennen war.
Zwischen 23:30 Uhr und 23.45 Uhr befand sich die Geschädigte wieder auf der Festwiese, wo sie verschiedene Personen ansprach und dort mit Ausfallerscheinungen und sexualisiert wirkenden, aber erkennbar nicht ernst gemeinten Handlungen auffiel. Nach der Begegnung mit einem weiteren Angeklagten setzte sich dieser mit der Geschädigten zunächst auf eine Bank, wo es nicht ausschließbar zu Zärtlichkeiten kam. In einem nahegelegenen Gebüsch kam es dann zu sexuellen Handlungen, bei denen ein entgegenstehender Wille der Geschädigten zwar nicht erkennbar war, aber der Angeklagte seinerseits die erhebliche Einschränkung der Willens- und Äußerungsfähigkeit der Geschädigten ausnutzte. Anschließend setzten sich der Anklagte und die Geschädigte wieder auf die Bank, wo unmittelbar danach die letzten drei Angeklagte mit einem unbekannt gebliebenen Mann erschienen. Kurz vor Mitternacht begaben diese sich mit der Geschädigten wiederum in die Büsche, wo zwei der drei Angeklagten nacheinander den Zustand der Geschädigten für sexuelle Handlungen ausnutzten, wobei der entgegenstehende Wille der Geschädigten wiederum nicht ausschließbar nicht zu erkennen war. Eine Beteiligung des dritten Angeklagten aus dieser Gruppe, dem keine DNA-Spuren eindeutig zuzuordnen waren, konnte die Kammer nicht feststellen, so dass dieser wie von der Staatsanwaltschaft beantragt freizusprechen war.
Die Angeklagten der ersten und zweiten Gruppe wurden aufgrund dieser Feststellungen der Vergewaltigung unter Ausnutzung einer hilflosen Lage schuldig gesprochen, im Fall eines Angeklagten der ersten Gruppe in Tateinheit mit Herstellung eines jugendpornografischen Inhalts, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und Diebstahl. Die übrigen Schuldsprüche lauten wegen Vergewaltigung. Von der Ausnutzung einer hilflosen Lage war in diesen Fällen nicht auszugehen, da in der jeweiligen Situation nicht ausschließbar hilfsbereite Personen in der Nähe waren, die eingeschritten wären, wenn sie auf das Tatgeschehen aufmerksam geworden wären.
In der Urteilsverkündung hob die Vorsitzende der zuständigen Kammer hervor, wie aufwändig und komplex die Beweisaufnahme in diesem Fall wegen der besonders vielschichtigen Beweislage war. Die meisten Feststellungen beruhen allein auf Indizien, die in der Beweisaufnahme mit den Aussagen von über 90 Zeugen und mehreren Sachverständigen zusammengetragen wurden. Zeugen haben zwar von zwei Videos berichtet, die dem ersten und dem letzten Tatgeschehen zuzuordnen sind. Beide Videos wurden jedoch kurz nach der Tat unwiederbringlich gelöscht und standen weder den Ermittlern noch dem Gericht zur Verfügung. Auch unmittelbare Tatzeugen gab es keine. Die einzigen objektiven Beweismittel stellten DNA-Spuren von neun der Angeklagten dar, die jedoch naturgemäß nichts über die Art der sexuellen Handlungen und ihre Einvernehmlichkeit aussagen.
Bei acht der neun schuldig gesprochenen Angeklagten wurden die Jugendstrafen im Hinblick auf die Schwere der Schuld verhängt, in vier Fällen auch und in einem Fall allein wegen sog. schädlicher Neigungen, wobei keiner der Angeklagten vor der Tat oder seitdem mit Sexualstraftaten aufgefallen oder vorher sonst zu einer Jugendstrafe verurteilt worden wäre. Die Länge der Jugendstrafen orientiert sich nach dem Jugendstrafrecht am erzieherischen Bedarf der einzelnen Angeklagten, während Gesichtspunkte wie Vergeltung und Generalprävention keine Rolle spielen dürfen. Neben dem Gewicht der Schuld wurden deshalb maßgeblich der Werdegang und die aktuelle Entwicklung der Angeklagten, ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an erzieherischer oder therapeutischer Unterstützung und die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung berücksichtigt.
Für die Dauer der Bewährungs- bzw. Vorbewährungszeit werden die Verurteilten jeweils der Aufsicht und Leitung durch einen Bewährungshelfer unterstellt; neben Gesprächsweisungen wurden u.a. Auflagen erteilt, nach denen die Verurteilten Arbeitsleistungen im Umfang von jeweils 60 Stunden erbringen und die Geschädigte aus dem Ertrag entschädigen müssen.