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Oberverwaltungsgericht Hamburg: OVG konkretisiert Voraussetzungen für Identitätsfeststellungen in den Gründen zu der Entscheidung zu einer polizeilichen Kontrolle eines Anwohners auf St. Pauli

7. Februar 2022

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 19. Januar 2022 hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Freien und Hansestadt Hamburg die Klage eines aus Togo stammenden Anwohners des Stadtteils St. Pauli abgewiesen, der die Feststellung begehrt hatte, dass eine gegen ihn gerichtete polizeiliche Identitätsfeststellung rechtswidrig gewesen sei (Az. 4 Bf 10/21, siehe Pressemitteilung vom 20.01.2022). Den Beteiligten liegt nunmehr auch die schriftliche Urteilsbegründung zu dieser Entscheidung vor, in der das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen für polizeiliche Kontrollen in Hamburg konkretisiert.

AZ: 4 Bf 10/21

Der Kläger war wiederholt auf St. Pauli innerhalb eines von der Polizei als Kriminalitätsschwerpunkt ausgewiesenen „gefährlichen Ortes“ kontrolliert worden. Er erhob hiergegen Klage, zu deren Begründung er geltend machte, es habe sich um diskriminierende und stigmatisierende Identitätsfeststellungen gehandelt, für die seine Herkunft und seine Hautfarbe maßgeblich gewesen seien. Nachdem der Kläger in einem Fall seine Klage zurückgenommen, die Beklagte in einem weiteren Fall die Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung des Klägers anerkannt und im Hinblick auf eine dritte Kontrolle ihre Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurückgenommen hatte, war Gegenstand des Berufungsverfahrens noch eine Identitätskontrolle des Klägers in der Balduinstraße am 15. November 2017. Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass diese Identitätskontrolle rechtmäßig gewesen ist.

Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe diese Maßnahme zum einen auf die Standardbefugnis zur Identitätskontrolle des § 4 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 PolDVG a.F. (nun § 13 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG) stützen können. Danach dürfe die Polizei die Identität einer Person feststellen, soweit es im Einzelfall zur Abwehr einer bevorstehenden Gefahr erforderlich sei. Das Vorliegen eines Gefahrenverdachtes sei ausreichend. Die Polizei müsse das Vorliegen einer Gefahr für zumindest möglich halten, auch wenn sie noch nicht abschließend sicher sei, ob tatsächlich von einer Gefahr ausgegangen werden könne. Ein derartiger Gefahrenverdacht habe nach der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des zuständigen Senats im Zeitpunkt der Kontrolle bestanden. Danach hätten sich der Kläger und sein Begleiter vor dem Hintergrund polizeibekannter, typischer Verhaltensmuster von Drogendealern zum maßgeblichen Zeitpunkt „szenetypisch“ verhalten, so dass die Polizei zumindest von der Möglichkeit einer auf der Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes strafbaren Handlung habe ausgehen dürfen. Auch wenn die maßgeblichen Verhaltensweisen - enges Beieinandergehen, Umschauen, Bewegungen an den Taschen, Erhöhung der Laufgeschwindigkeit - einzeln und für sich genommen alltäglich seien, habe in diesem Einzelfall gerade die Kumulation dieser Verhaltensweisen einen Gefahrenverdacht begründet.

Ein Verstoß gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG - hier die Differenzierung anhand der Hautfarbe als Teil des Merkmals „Rasse“ - liege nicht vor. Dafür hätte es zumindest eines kausalen Zusammenhangs zwischen Kontrolle und der Hautfarbe des Klägers bedurft. Der Kläger sei aber nicht „wegen“ seiner Hautfarbe, sondern aufgrund konspirativer Verhaltensweisen kontrolliert worden. Das Oberverwaltungsgericht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Polizei bei der Gefahrenabwehr in bestimmten Konstellationen das äußere Erscheinungsbild von Personen berücksichtigen dürfe. Zur Beschreibung einer einer Straftat verdächtigen Person dürfe auch deren Hautfarbe angegeben werden, solange es sich um eine sachliche Personenbeschreibung und nicht um eine Perpetuierung von rassistischen, irrationalen, stigmatisierenden oder haltlosen Vorurteilen handele.

Die Identitätsfeststellung habe darüber hinaus auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Nr. 2a PolDVG a.F. (nun § 13 Abs. 1 Nr. 2a PolDVG), wonach die Polizei die Identität einer Person feststellen dürfe, wenn sie an einem „gefährlichen Ort“ angetroffen werde, vorgenommen werden dürfen. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß und bedürfe auch keiner verfassungskonformen Einschränkung. Sich aus der Weite des Tatbestandes ergebende Konflikte mit den Grundrechten von an einem „gefährlichen Ort“ angetroffenen Personen müssten im Einzelfall auf der Ebene des Ermessens und der Verhältnismäßigkeit bewältigt werden. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, ob die Person aufgrund ihres Verhaltens mit den Ortsgefahren des jeweiligen gefährlichen Ortes in Verbindung gebracht werden könne. Zudem dürften die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG nicht ausschlaggebend für die Anordnung einer Identitätsfeststellung sein. Die wiederholte bewusste Kontrolle ein und derselben Person in engen zeitlichen Abständen bedürfe jedenfalls dann einer besonderen Rechtfertigung, wenn die vorangegangenen Kontrollen ergebnislos verlaufen seien. Danach sei auch die Kontrolle des Klägers verhältnismäßig gewesen. Es habe aufgrund seines Verhaltens eine hinreichende Verbindung zu den prägenden Ortsgefahren bestanden. Die Kontrolle habe auch nicht in einer gegen den Gleichheitssatz verstoßenden Art und Weise an die Hautfarbe des Klägers angeknüpft.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen. Dagegen ist Nichtzulassungsbeschwerde möglich, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.


Für Rückfragen:
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Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
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